Mit einer DIN-Norm den Gewinn steigern

Seit zehn Jahren berät die Volksbank Emmerich-Rees auf Grundlage einer Finanzanalyse nach DIN-Standard. Kann der dafür erforderliche Paradigmenwechsel ein Vorbild für andere Häuser sein? Ein Erfahrungsbericht mit erstaunlichem Erkenntnisgewinn.

Veröffentlich von: Peter Schau, Bankmagazin, Springerprofessional, Dezember 2024

Die Vertriebsverantwortlichen in den Führungsebenen von Kreditinstituten kennen die alljährliche Prozedur: Man präsentiert auf Strategiemeetings Wege zu mehr Kundschaft, mehr Umsatz, mehr Gewinn, diskutiert und beschließt. Stets ist dabei die Rede von neuen und besseren Produkten, intensiveren Verkaufstrainings, gezielteren Marketinginstrumenten. Doch Verkaufsergebnisse zu pushen, kostet Geld, und oft genug verfehlt dieses Vorgehen sein Ziel, denn die klassischen Wege der Vertriebsunterstützung beschreiben meist nur den
Bankenblick auf den Kunden. Es geht im Kern immer darum, Bedürfnisse zu wecken – Streuverluste inklusive.

Ist es nicht an der Zeit, aus Gründen der Effektivität andersherum zu denken? Zu erfahren, was ein Verbraucher, ein

Kompakt

  • DIN Norm 77230 „Basis-Finanzanalyse für Privathaushalte“ wurde von Finanzwissenschaftlern, Juristen, Verbänden, Verbraucherschützern und erfahrenen Praktikern aus Banken und Versicherungen im Konsens entwickelt.
  • Sie ermöglicht einen systematischen, ganzheitlichen Überblick von 42 Finanzthemen in drei Prioritätsabstufungen. Die Finanzanalyse ist auch in Einzelmodulen darstellbar.
  • Finanzanalysen nach DIN 77230 erhöhen Provisionseinnahmen und verbessern Vertriebszahlen.

Haushalt, ein Kunde wirklich braucht? Dafür halten Finanzdienstleister, schon um sich für den Fall der Fälle abzusichern, eine Abfragesystematik vor, die sie Finanzanalyse nennen. Beraterinnen und Berater empfinden diese Abfrage jedoch häufig als lästig. Abgefragt, abgehakt – fertig, das ist die Praxis. Das Abfragen lenkt sonst zu sehr vom Verkaufsprozess ab, in dem doch die neuen Produkte und höhere Provisionseinnahmen untergebracht werden sollen. So bleiben die Möglichkeiten, die sich aus einer wahrhaftigen Finanzanalyse ergeben, vielfach ungenutzt. Dafür wäre ein grundlegendes Umdenken erforderlich, ein Paradigmenwechsel.

Die Volksbank Emmerich-Rees diskutierte genau diesen Themenkomplex vor etwa zehn Jahren. Dabei tauchten immer wieder dieselben Fragen auf:

  • Wie können wir in den Menschen unseres Einzugsgebiets das Vertrauen erzeugen, dass wir ihnen nichts verkaufen, sondern ein ehrlicher Partner, ein Sachwalter ihrer individuellen Bedarfe sein wollen? Wurde das nicht auch das Empfehlungsgeschäft fördern?
  • Wie schaffen wir es, die Vertragsdichte pro betreutem Haushalt zu erhöhen, Stichwort Cross Selling? Würde das nicht ganz nebenbei auch die Kunden fester binden?
  • Haben wir wirklich immer alle für unsere Kunden wichtigen Finanzthemen im Blick? Hätten wir mit einer ehrlichen Finanzanalyse nicht automatisch ein „Auftragsbuch“ für die Zukunft in der Hand, langfristig und nachhaltig?
  • Gehört zu einer nachhaltigen Kundenbeziehung nicht auch dazu ehrlich zu sagen, welche Finanzbedürfnisse die Kundin oder der Kunde erst einmal hinten anstellen sollte? Damit Berater Finanzmittel für die wirklich wichtigen

Absicherungs- und Vorsorgethemen freibekommen und so auch zu einer höheren Haftungssicherheit zu gelangen? In genau dieser Phase eines neuen Erkenntnisgewinns erfuhr die Volksbank von den Bemühungen einer Gruppe von Finanzwissenschaftlern, von praxiserfahrenen Vertretern von Banken und Versicherern sowie Verbraucherschützern, unter dem Dach des Deutschen Instituts fur Normung (DIN) eine DIN-Norm für Finanzanalysen zu entwickeln.

Es hieß, dass den Mitgliedern des Normausschusses besonders daran gelegen sei, das darbende Vertrauen in die Finanzberatung zu stärken, mit einem standardisierten Verfahren eine Qualitätsverbesserung für eine tatsächlich individuelle, rein bedarfsorientierte Finanzanalyse zu schaffen und gleichzeitig einen wichtigen Teil im Umgang mit den Kunden so zu vereinheitlichen, dass nicht jeder Bankberater, jeder Versicherungsmakler und nicht jeder Anlageberater vor seiner originären Beratungstätigkeit zunächst einmal neu eine Finanzanalyse erstellen muss.

Das überzeugte die Verantwortlichen der Volksbank auf Anhieb, erkannten sie doch gleich den betriebswirtschaftlichen, nachhaltigen Nutzen der Normanwendung. Holger Zitter, zu diesem Zeitpunkt Vorstandsmitglied des Instituts, schloss sich dem aus 37 Persönlichkeiten bestehenden DIN-Ausschuss an, dem im weiteren Verlauf auch Juristen und Verbandsvertreter beiwohnten. Zuerst erarbeiteten die Mitglieder eine DIN SPEC (Spezifikation) und dann die erste Norm für die Finanzbranche: die DIN-Norm 77230 „Basis-Finanzanalyse für Privathaushalte“. Die Volksbank Emmerich-Rees war das erste Geldhaus in Deutschland, das die DIN-Norm fest implementierte.

Es sollte sich lohnen! Aber zunächst kam es, wie es kommen musste: Der Absatz und damit einhergehend auch der Provisionsertrag gingen zurück. Die Produktpartner führten dies darauf zurück, dass es keinen Jahresvertriebsplan mehr gab, keine vorgegebenen Erfolgsziele auf Ebene der Mitarbeitenden mit einzelnen Gesellschaften oder einzelnen Produkten, keine Produkt-Penetration entlang der verschiedenen Produktschulungen. Der Druck von außen wuchs. Die hausinterne Analyse jedoch ergab, dass zunächst ein
Umgewöhnungsprozess zu durchlaufen war – bei den Beratern wie auch bei den Kunden. Der Rede- oder auch der „Überredeanteil“ der Mitarbeitenden war ausgeprägt und zuvor stets nur auf ein Ziel ausgerichtet, den singulären Produktverkauf. Aber auch der Kunde war es gewohnt, nach kurzer oder längerer Überlegungsphase zu einem Produktangebot Ja oder Nein zu sagen. Andererseits waren die Kunden es auch gewohnt, einen Produktwunsch auszusprechen und genau diesen schnellstmöglich erfüllt zu bekommen. Ob das gewünschte Produkt das richtige für den Kundenbedarf war, hinterfragte dabei niemand.

Den tatsächlichen Bedarf erfragen

Das änderte sich mit der Einführung der DIN-Norm 77230 und ihren 42 Finanzthemen in drei Prioritätsabstufungen grundlegend: Der Berater fragte und hörte zu. Der Gesprächsanteil der Kunden erhöhte sich deutlich, sie offenbarten sich umfangreicher und legten ihre Gesamtlebensumstände immer umfassender dar. Selbst wenn nur über einzelne Module der Finanzthemen zu sprechen war, um einem aktuellen Kundenbedürfnis gerecht zu werden. Im Ergebnis stand ein Lernprozess auf beiden Seiten.

Eine weitere Herausforderung bestand darin, Bank- und Versicherungsthemen gleichwertig zu behandeln. Zuvor waren beide Sparten, obwohl unter einem Dach angesiedelt, strikt voneinander getrennt. Versicherungen? Für ausgewachsene Banker Neuland. Mit der Einführung der Norm mussten sie ihr gewohntes Terrain verlassen und über den Tellerrand hinausschauen. Und da stehen beim Kunden unter Umständen als Priorität 1 nicht das Tagesgeldkonto und auch nicht das Wertpapierdepot, sondern die Krankenversicherung und die provisionsarme Haftpflichtversicherung. Dass dies nur mit einem gewissen Maß an Schulungen zu leisten war, versteht sich von selbst.

Heute zeigen die verschiedenen Kennzahlen der Volksbank Emmerich-Rees deutlich nach oben. Mitarbeitende erleben eine neue Kundenzufriedenheit. Endlich erhalten die Kundinnen und Kunden einen systematischen, ganzheitlichen Überblick über ihre Finanzen. Längst haben auch die Produktlieferanten aufgehört zu versuchen, den Bankvorstand auf den alten Verkaufsweg zurückzudrängen, sondern unterstützen ihn nach Kräften. Das einzige vorgegebene Vertriebsziel für jeden Berater und jede Beraterin lautet: Fünf Analysen pro Woche.

In den zehn Jahren seit Einführung der normbasierten Finanzanalyse ist der Provisionsertrag ohne Zahlungsverkehr von 2,9 Millionen Euro auf 3,5 Millionen Euro, also um knapp 21 Prozent, angestiegen. Seitdem reduzierte sich der Mitarbeiterbestand am Kunden aufgrund der erhöhten Qualitätsanforderungen von 38 Vollzeitstellen im Jahr 2014 auf aktuell 28 Stellen, verbunden mit entsprechend eingesparten Personalkosten. Obwohl jeder einzelne Kunde mehr Zeit erfordert, stieg die durchschnittliche Provision pro Mitarbeiter im Versicherungsgeschäft in diesem Zeitraum um 74 Prozent (siehe Grafik auf Seite 27). Dies ist nicht zuletzt auf die Quote der erfolgten Überleitungen der Kunden an die Versicherungsabteilung nach einer DIN-Analyse zurückzuführen. Diese betrug 2023 etwa 37 Prozent. Gleichzeitig registriert die Bank praktisch keine Stornoquoten. Und über all dem steht eine neu hinzugewonnene Haftungssicherheit. Wie sehr sich die neue Kundenzufriedenheit auf das Empfehlungsgeschäft auswirkte, lässt sich nur vermuten.

Laut Schätzungen des Vertriebsvorstands besitzen die betreuten Haushalte mittlerweile durchschnittlich rund ein
Drittel mehr Verträge als vor der Einführung der DIN-Analysen. Das ist eindeutig auf die durch die Norm provozierten Cross-Selling-Effekte zurückzuführen. Dass die Volksbanker nicht zuletzt aufgrund der Finanzanalyse mehrmals als Banksieger im Landkreis Emmerich-Rees ausgezeichnet wurden, ist ein zusätzliches Zuckerl.

Bank wird zur Unternehmensberaterin

Diese positiven Erfahrungen möchte die Volksbank nun auch auf ihre gewerblichen Kunden übertragen. Die ersten Berater haben sich bereits auf die DIN-Norm 77235 „Standardisierte Finanzanalyse für Freiberufler, Gewerbetreibende, Selbstständige und KMUs“ zertifizieren lassen. Sie und ihre gewerblichen Kunden werden eine neue Beziehung erleben, auf Augenhöhe. Dann geht es nicht mehr nur um eine Finanzierung für eine neue Maschine oder eine einzelne Cyber-Versicherung. Dann geht es um Ganzheitlichkeit, insbesondere um Absicherung und Vorsorge, um Liquidität, Überschuldung, Zinsänderungsrisiken und Vermögensplanung. Die Bank als Unternehmensberaterin. Der Schritt vom Unternehmer bis zur DIN-Finanzanalyse beim Privatier ist dann nur noch ein ganz kleiner.

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